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das Pubass***
Powerpoppin' Daddy
Wie ich einmal
"Wie ich einmal Jay Reatard meine Brille zur Verfügung stellte"
Die während eines Konzerts runtergefallene und zu Klump getretene – doch niemals: verlorene – Brille gehört zu mir wie die Abneigung gegen französische Filme. Bei den Miracle Workers war es so, dann bei den Cosmic Psychos und später auch bei Helmet. Bei Letztgenannten, richtig überlegt, passierte das Malheur nicht mal während eines Konzerts, sondern lediglich in einer Discothek, die Helmet spielte – olala, kein Ruhmesblatt! Und fast hätte die recht wenig lieb gewonnene Tradition ihre Fortsetzung im Beatclub St. Pauli (beatclubstpauli.de) gefunden. Dort waren die Reatards zu Gast. Wer jetzt still für sich „Aha, daher weht der Wind!“ denkt, der ist jedenfalls nicht auf dem Holzweg. Aber noch bin ich ganz am Anfang meiner Infotainment-Kurzdoku.

Der Beatclub hat sich ja heute dank blendenden Bookings zum spannendsten Schuppen des Rock’n’Roll-Live-Geschehens in Hamburg gemausert, was für mich an jenem 03.11.05 noch gar nicht absehbar war, als mich Ausgehsupport Carsten drängte, neben den Reatards auch die sie begleitenden Tokyo Electron und Angry Angles zu besichtigen. Das Package setzt sich aus einer Handvoll Leute zusammen, die in je unterschiedlicher Konstellation die drei Bands bildet und sich mal eher newwavig, mal countrybluestrashig, mal rocknrollig reinhängt. Oder falls ihr die Leute kennt, überlegt euch halt selbst eine Einordnung, ich bin da schwach drin. Jedenfalls sind die Reatards bis in die Nebenwerte hinein Rock’n’Roll, was Jay Reatard schlüssig unterstrich, indem er mit viel punkrituellem Tam-Tam eine schöne Prügelbereitschaft ausstrahlte. Einen allzu langen Blickkontakt jedenfalls nahm ich – Show hin oder her – lieber nicht auf, was mich aber nicht rettete.

Bei einem seiner Gewaltausflüge ins Publikum hielt Herr Reatard – ins Trudeln gekommen – sich an meiner Brille fest und fegte gleichzeitig mit seiner freien rechten Hand einen dicht an dicht mit Bierflaschen besetzten Tisch leer. Heißa, war das ein Bild! Hätte ich es nur gesehen. Habe ich aber nicht, denn meine Brille war zu Boden gegangen. Bemerkenswert, wie in Momenten der äußersten Anspannung der Mensch nicht zulässt, dass Panik seine Persönlichkeit kapert, rasend schnell sinniert, Handlungsmöglichkeiten wägt und ergebnisorientiert agiert: Ich schlug zu. Hahaha, ein kleiner Ulk, richtig muss es heißen: Carsten glaubte einen Fremden neben sich, der ihn bat, nach seiner Brille zu suchen – Kinder, derart verändert eine Sehhilfe! Wertvolle Sekunden verstrichen, in denen meine Brille in Scherben lag. Zum Glück nur denen der Bierflaschen, meine Brille war unversehrt und nach dem Casus das Konzert unvermittelt vorbei – ganz ähnlich diesem Absatz.

Wenn du, lieber Leser, das Gefühl hast, in meiner Kolumne sei Musik womöglich etwas zu kurz gekommen und Gossen-Vokabular regiere, so bitte ich um Protesteingaben an Rockass-Herausgeberlegende Peter, der zuletzt „mehr Action“ und „nicht immer diese ganze schräge Kopflastigkeit“ von seinen Autoren einforderte. In der nächsten Ausgabe aber vielleicht wieder anders herum, ihr lest es dann.
Holger Rockass
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"Wie ich einmal drei Gespräche nacheinander führte"
Es war eine wilde und stürmische Nacht und die Scandia Bar&Sauna gesteckt voll an diesem Mittnovembersonntag, den die Boys zu einem Gig in Hamburg nutzten. "Es war eine wilde und stürmische Nacht" ist aus einem Peanuts-Comic (den ich hier, allein um euch ein Aha-Erlebnis zu verschaffen, nach dem Gedächtnis zitiere) und "gesteckt voll" bedeutet, dass immer nur zehn Leute gleichzeitig Sicht auf die Bühne hatten, Sicht mithin auf drei fidele Prachtsäufer, denen es jedoch an vorzeigbaren Plauzen mangelte.

Dennoch: Während "First Time" schmiss sich eine Frau - womöglich hormonell aufgepeitscht - immer wieder seitlich an mich, atmete schwer und bestand darauf, wie unglaublich schön dieser Moment sei. Ich stimmte zu und meinte es wohl ernst. Fünf Jägermeister und diverse Biere rumorten zu diesem frühen Zeitpunkt bereits wie bedrohlich in meinem Inneren. Doch bitte halt: Ich will hier durchaus nicht nutzlos Spannungsbögen aufbauen wie ehedem SAT1-Kommentatoren bei der Fußballbundesliga-Berichterstattung und kann vorweg nehmen, dass ich alles bei mir behielt. Jedenfalls, wo war ich, gerieten wir in eine wenngleich fragmentarisch bleibende Unterhaltung. Lebhaft forderte sie - warum eigentlich von mir? - ein ums andere Mal "If the Kids Are United", was seine Rechtfertigung scheint's darin fand, dass sich ein Mitglied von Sham 69 ins Boys-Line-Up geschmuggelt hatte. Es kann aber auch genau anders herum gewesen sein, was weiß denn ich.

Meine Freundin jedenfalls wurde alsbald von einem zweiten Gesprächspartner abgelöst, welcher mich ohne bourgeoise Vorrede als "Kifferfreund" identifizierte, der in irgendeiner Einschätzung irgendeines Boys-Stücks "ausnahmsweise mal Recht" habe. Dabei kannte ich den bösen Mann gar nicht und hatte auch nix gesagt. Es war wirklich alles sehr verwirrend. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich beobachte zunehmend diese frühverrenteten Punkrock-Verwalter, die verhärmt reagieren, wenn Leute, die vor 25 Jahren nicht dabei waren, ihre Musik mögen. Ich schreibe das als 39jähriger, keine voreiligen Schlüsse also.

Mittlerweile trug man auf der Bühne "Brickfield Nights" vor, das von allen Singalongs am besten ankam. Ich lasse das aber besser mal im Ungewissen, denn sehr große Anteile meiner Aufmerksamkeit wurden inzwischen von einem weiteren mitteilungsstarken Konzertbesucher, einem durchreisenden Schalke-Fan mit gewaltigem Geschirrfehlbestand im Küchenmöbel, absorbiert. Er konnte zwar keinen einzigen der aktuellen Spieler dieser Mannschaft namentlich nennen, hing dafür jedoch unverdrossen an meinem Ohr und verwechselte mich, so meine ich kapiert zu haben, mit einem alten Kumpel aus Bocholt. Als ich mich befreit hatte, ging die Band bereits unter "Fake-Boys"-Beschimpfungen von der Bühne. Die Punkrock-Institutionen lächelten freundlich grüßend zurück. Wie gesagt: Es war eine wilde und stürmische Nacht.
Holger Rockass
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"Wie ich einmal erfolglos meine Dänensolidarität vor mir her trug"
Wer die Columbian Neckties neulich in St. Paulis Scandia Bar gesehen hat, der gehörte scheint's zu den ganz Informierten: Außer einem Plakat bei Burnout Rec. und der Ankündigung unter www.scandia-bar.com habe ich jedenfalls keine Konzerthinweise entdecken können. Die Scandia Bar ist auch in Hamburg noch nicht allgemein bekannt, sie liegt in der Gerhardstraße und du hast sie direkt vor dir, wenn du aus der Herbertstraße herauskommst. Diesen Weg hatten am 26.09. immerhin fünfzig Leute gefunden. Mit sechs Euro fand ich den Eintrittspreis ziemlich niedrig, wenngleich ich vor einem Jahr bestimmt anders darüber gedacht hätte (das Merchandising hatte übrigens ebenfalls okaye Preise).

Als ich ankam, zeigten sich bereits die Bazookas, die einen sehr überzeugenden Eindruck hinterließen: Sie spielten mit viel mehr Spirit als beispielsweise vor knapp zwei Jahren im Molotow. Natürlich deckt sich diese Würdigung mal wieder nicht mit der Selbsteinschätzung der Band, aus deren Reihen zu hören war, der Sound sei mies gewesen.

Ein unbestrittener Hammer waren anschließend die Columbian Neckties. Sänger Jeppe Escobar gab äußerst sympathisch und mit viel Gespür fürs Entertainment den Irren auf Freigang und Gitarrist Henrik Overdrive erinnerte mich in seiner hibbeligen Art an Angus Young. Dabei ist das Revival der 70er Jahre-Produkte doch lang vorbei. Das Publikum, für hamburgische Verhältnisse ungewöhnlich beweglich (will sagen: drei tanzten, weitere zehn bewegten rhythmisch die Köpfe), kam bei "Got to give me love" vielleicht am meisten ins Schwitzen. Zumindest ging es mir so. Ich hatte, um meine Verbundenheit mit dem dänischen Volk zu unterstreichen, meine "FC S04 established in 1904"-Schlumpf (= Kapuzenpulli) angezogen (Argumentationskette ungefähr: Schalke - Ebbe Sand und Christian Poulsen - Dänen sind super) und dampfte den Abend über so vor mich hin. Mein plumpes Anbiedern wurde von allen Beteiligten souverän ignoriert, niemand gab zu erkennen, dass für ihn dieser Verein gleich nach Joey Ramone das Größte ist. Very sophisticated indeed! Erst gegen Ende des Gigs meldeten sich versprengte "Ebbe, Ebbe Sand"-Chöre, um sogleich mit dem allgemeinen Rock'n'Roll-Hintergrundgebretter zu verschmelzen.

Erst als ich wieder daheim war, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, mich nach der Bedeutung der namengebenden kolumbianischen Krawatte zu erkundigen. Über google wurde ich fündig. Doch was ich dort las, will ich mir lieber nicht als zu farbiges Bild vorstellen. Hier jedenfalls kein Wort davon. Ihr habt eh alle einen Informationsvorsprung und wisst, was Phase ist. Hach, ich könnte noch seitenlang so weiter schwadronieren, aber dafür langt das Zeilengeld des Herausgebers nicht. In der nächsten Ausgabe wieder.
Holger Rockass